Gerichtsurteil: Rittigkeitsprobleme sind kein Sachmangel

Karlsruhe (LV MV). Der Bundesgerichtshof hat in einem Grundsatzurteil zu Pferdeverkäufen [BGH, Urteil vom 27. Mai 2020 – VIII ZR 315/18 – OLG Oldenburg LG Oldenburg] klargestellt, dass „Rittigkeitsprobleme“ kein Sachmangel sind, sondern „dass es sich bei dem erworbenen Pferd um ein Lebewesen handelt, das – anders als Sachen – mit individuellen Anlagen ausgestattet und dementsprechend mit sich daraus ergebenden unterschiedlichen Risiken behaftet ist“. Der BGH stellt fest:

  1. Der Verkäufer eines Tieres hat, sofern eine anderslautende Beschaffenheitsvereinbarung nicht getroffen wird, (lediglich) dafür einzustehen, dass es bei Gefahrübergang nicht krank ist und sich auch nicht in einem (ebenfalls vertragswidrigen) Zustand befindet, aufgrund dessen bereits die Sicherheit oder zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass es alsbald erkranken wird und infolgedessen für die gewöhnliche (oder die vertraglich vorausgesetzte) Verwendung nicht mehr einsetzbar wäre (Bestätigung von BGH, Urteile vom 18. Oktober 2017 – VIII ZR 32/16, NJW 2018, 150 Rn. 26; vom 30. Oktober 2019 – VIII ZR 69/18, NJW 2020, 389 Rn. 25; jeweils mwN).
  2. Demgemäß wird die Eignung eines klinisch unauffälligen Pferdes für die gewöhnliche oder die vertraglich vorausgesetzte Verwendung als Reitpferd nicht schon dadurch beeinträchtigt, dass aufgrund von Abweichungen von der „physiologischen Norm“ eine (lediglich) geringe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es zukünftig klinische Symptome entwickeln wird, die seiner Verwendung als Reitpferd entgegenstehen (Bestätigung von BGH, Urteile vom 7. Februar 2007 – VIII ZR 266/06, NJW 2007, 1351 Rn. 14; vom 18. Oktober 2017 – VIII ZR 32/16, aaO Rn. 24; vom 30. Oktober 2019 – VIII ZR 69/18, aaO Rn. 26).
  3. Diese Grundsätze gelten nicht nur für physiologische Abweichungen vom Idealzustand, sondern auch für ein vom Idealzustand abweichendes Verhalten, wie etwa sogenannte „Rittigkeitsprobleme“, wenn das Pferd nicht oder nicht optimal mit dem Reiter harmoniert und Widersetzlichkeiten zeigt.
  4. Entspricht die „Rittigkeit“ eines Pferdes nicht den Vorstellungen des Reiters, realisiert sich für den Käufer – wenn nicht klinische Auswirkungen hinzukommen – daher grundsätzlich lediglich der Umstand, dass es sich bei dem erworbenen Pferd um ein Lebewesen handelt, das – anders als Sachen – mit individuellen Anlagen ausgestattet und dementsprechend mit sich daraus ergebenden unterschiedlichen Risiken behaftet ist.
  5. Nach dieser Maßgabe sind „Rittigkeitsprobleme“ durch von einem Reitpferd gezeigte Widersetzlichkeiten auch bei Vorliegen eines nicht mit Krankheitssymptomen verbundenen Kissing Spines-Befundes – in Ermangelung einer anderslautenden Beschaffenheitsvereinbarung oder eines besonderen Vertragszwecks – kein Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 BGB. BGB § 437 Nr. 2, § 323 Abs. 1 Da die Rücktrittsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung erfüllt sein müssen, muss auch zu diesem Zeitpunkt ein bei Gefahrübergang gegebener Sachmangel fortbestehen (Bestätigung von BGH, Urteil vom 30. Oktober 2019 – VIII ZR 69/18, aaO Rn. 35). BGB § 476 BGB (in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung; § 477 BGB)